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Der BGH betont: Bei Eigenbedarfskündigungen mit Härteeinwand nach § 574 BGB genügt ein unzureichendes, widersprüchliches Gutachten nicht. Gerichte müssen medizinische Risiken umfassend und sorgfältig aufklären.
Ausgangslage: Hochbetagter Mieter widerspricht der Eigenbedarfskündigung
Im vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall (BGH, Beschluss vom 26.08.2025 – VIII ZR 262/24) bewohnte der 1939 geborene Mieter seit 1982 eine Dreizimmerwohnung in Berlin. Er war fest in seiner Umgebung verwurzelt und hatte die Wohnung über Jahrzehnte hinweg renoviert und an seine Bedürfnisse angepasst.
Die Vermieter kündigten das Mietverhältnis im Jahr 2021 wegen Eigenbedarfs. Der Mieter widersprach aufgrund schwerwiegender gesundheitlicher Risiken und berief sich auf eine unzumutbare Härte gemäß § 574 BGB.
Erhebliche Gesundheitsrisiken: Vorgetragen und fachärztlich belegt
Der Mieter machte insbesondere folgende Risiken geltend:
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schwere psychische Belastungen bis hin zu suizidalen Krisen
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Herzklappenfehler und spätere Herzklappenoperation mit Hochrisikosituation
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depressive Störung und kognitive Einschränkungen
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körperliche Unfähigkeit, einen Umzug oder eine Räumung zu bewältigen
Vorinstanzen: Räumung zugesprochen – Härtefall verneint
Das Amtsgericht Charlottenburg und das Landgericht Berlin entschieden gegen den Mieter. Beide stützten sich maßgeblich auf ein neurologisch-psychiatrisches Sachverständigengutachten, das trotz dokumentierter Erkrankungen keinen Härtefall feststellte.
Das Landgericht lehnte zusätzliche medizinische Gutachten – insbesondere ein kardiologisches – ab.
BGH: Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG – Gutachten war widersprüchlich
Der BGH hob das Urteil teilweise auf. Das Landgericht habe den Anspruch des Mieters auf rechtliches Gehör verletzt.
Ein Urteil darf nicht auf einem Gutachten beruhen, das:
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widersprüchlich ist,
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medizinisch unvollständig bleibt,
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Risiken nur vage beschreibt,
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und angebotene Beweise (z. B. kardiologische Expertise) ignoriert.
BGH: Hohe Anforderungen bei der Härtefallprüfung nach § 574 BGB
Der BGH bestätigt, dass gesundheitliche Härten besonders sorgfältig zu prüfen sind. Gerichtliche Entscheidungen müssen auf fachärztlicher Einschätzung beruhen – nicht auf laienhaften Schlussfolgerungen.
Problematisch war insbesondere, dass das Landgericht die Fähigkeit des Mieters zu Bahnreisen als Beleg dafür wertete, er könne auch einen Umzug bewältigen. Der BGH stellte klar: Das ist eine unzulässige laienmedizinische Bewertung.
Konsequenzen für die Praxis
Für Vermieter
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Eigenbedarf bleibt möglich – betroffen ist nur die Härtefallprüfung.
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Gerichte müssen bei gesundheitlichen Risiken umfassend aufklären.
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Auch bei berechtigtem Eigenbedarf kann ein Härtefall zur Fortsetzung des Mietverhältnisses führen.
Für Mieter
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Schwere Erkrankungen müssen ausführlich und fachärztlich belegt werden.
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Widersprüche in Gutachten eröffnen Angriffsflächen für Rechtsmittel.
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Beweisanträge sind zwingend zu berücksichtigen.
Fazit: Stärkung der Rechte gesundheitlich gefährdeter Mieter
Der Beschluss mahnt Instanzgerichte zu größerer Sorgfalt. Widersprüchliche Gutachten müssen hinterfragt und notfalls ergänzt werden. Medizinische Fragen dürfen nicht durch eigene Wertungen ersetzt werden.
Das Urteil stärkt die Rechte von Mietern, die bei einem Umzug gravierende gesundheitliche Gefahren erleiden würden, und sorgt zugleich für rechtsstaatliche Qualität im Räumungsprozess.
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